Die Adventszeit erleben viele Menschen als besonders hektisch. Das liegt nicht nur an den Geschenken, die besorgt, und den Feierlichkeiten, die vorbereitet werden wollen, sondern auch an den vielen sozialen Anlässen, die in diese Zeit fallen: vom «Chlaushöck» im Verein über das Weihnachtsessen im Geschäft, den obligaten Glühwein mit Freundinnen und Freunden auf dem Weihnachtsmarkt bis hin zum geselligen Beisammensein mit Familie und Freunden an den drei Weihnachtsfeiertagen.
Vergessen geht in diesem Trubel leicht, dass die Zahl der Menschen, denen ein stabiles soziales Netzwerk fehlt, zunimmt. Soeben publizierten Ergebnissen der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2022 zufolge fühlen sich 42,3 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung im Alter von über 15 Jahren manchmal bis sehr häufig einsam. 2017 waren es noch 38,6 Prozent, 2002 29,8 Prozent. Es ist also eine langfristige Entwicklung, die sich hier vollzieht. Die Coronapandemie sorgte allerdings jüngst für eine Akzentuierung. «Einigen Menschen ist es noch nicht gelungen, ihre sozialen Kontakte in derselben Tiefe und Intensität fortzuführen, wie dies vor der akuten Pandemiephase mit ihren Social-Distancing-Massnahmen gewesen ist», sagt Professor Oliver Hämmig vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention (EBPI) der Universität Zürich. Er ist jedoch zuversichtlich, dass sich dies wieder normalisieren wird: «Es braucht einfach noch etwas Zeit.»
Einsamkeit als Folge der Modernisierung
Hämmig befasst sich im Rahmen seiner sozialepidemiologischen Forschung zu verschiedensten sozialen Risikofaktoren und deren Auswirkungen auf die Gesundheit unter anderem auch mit den gesundheitlichen Folgen von Einsamkeit und sozialer Isolation. Er sieht die Gründe für die – von manchen Forschenden auch als globale Einsamkeitsepidemie bezeichnete – zunehmende Häufung von Einsamkeitsgefühlen in vielen Bevölkerungen wie auch der Schweizer Bevölkerung unter anderem in der fortschreitenden Modernisierung unserer Gesellschaft. Der Wandel von einer traditionellen Agrar- hin zu einer modernen Industrie-, Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft begann sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer stärker durchzusetzen. «Damit verbundene Phänomene wie Urbanisierung, Individualisierung und Singularisierung begünstigen die Vereinsamung», sagt Hämmig. So nimmt etwa im Zuge der Singularisierung der Anteil der ständigen Wohnbevölkerung, die in Einzelhaushalten lebt, stetig zu: Lag er 1930 bei rund 2 Prozent, waren es 2021 bereits rund 17 Prozent. Dies entspricht rund 1,5 Millionen Menschen. Verschiedene demografische Entwicklungen, namentlich eine höhere durchschnittliche Lebenserwartung bei sinkenden Geburten- sowie steigenden Trennungs- und Scheidungsraten, tragen zu dieser Entwicklung bei.
Dass vertrauensvolle soziale Beziehungen entscheidend sind für Gesundheit und Wohlbefinden, belegen verschiedene wissenschaftliche Studien, darunter die Harvard Study of Adult Development, eine umfassende Langzeitstudie zur Lebenszufriedenheit mehrerer Generationen von US-Amerikanerinnen und -Amerikanern. Aus ihr geht hervor, dass positive soziale Beziehungen den grössten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit und die Gesundheit von Menschen haben – mehr als beruflicher Erfolg oder finanzielle Mittel. Soziale Unterstützung hilft unter anderem bei der Vorbeugung psychischer Störungen wie auch von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderen chronischen Stressfolgeerkrankungen. Ebenso begünstigt sie die Genesung und Rehabilitation nach Krankheiten und Unfällen. Die Gründe dafür liegen in der menschlichen Entwicklungsgeschichte: Seit jeher suchte der Mensch Sicherheit und Schutz in einer Gruppe. Positive soziale Kontakte vermitteln uns Sicherheit – fehlen sie, reagiert unser Körper mit Stress.