Sog der Stadt, Flucht aufs Land: Weshalb wechseln die Menschen immer einmal wieder ihren Wohn- und Lebensraum?
Es gibt nicht den einen Grund. In der Forschung konstatieren wir in den letzten 100 Jahren verschiedene Stadtentwicklungsphasen und verschiedene Auslöser für Bevölkerungsbewegungen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es eine starke Industrialisierung, neue Technologien kamen auf. Damit veränderten sich auch die Arbeitsplätze – und diese waren neuerdings in der Stadt zu finden. Eine erste Urbanisierung setzte ein.
Währte es lange, das Glück in der Stadt?
Nun ja, es wurde bald einmal zu eng in der Stadt. Hinzu kamen hygienische Missstände, die Abgase wurden mehr und die Luft schlechter. Dadurch setzte in den 1960er-Jahren eine Suburbanisierung ein, die Menschen zogen wieder aus der Stadt weg. Sie wollten ins Grüne, zwar nicht zurück ins gänzlich Ländliche, aber zumindest ins Stadtrandgebiet. Das Konzept nannte sich Gartenstadt: Einfamilienhäuser mit Grün ringsherum.
Der Tiefpunkt der Städte war da aber noch nicht erreicht …
Dieser kam in den Schweizer Städten, vor allem in Zürich, erst in den 1980er/ 1990er-Jahren: Mit der Stadtflucht entleerten sich die Innenstädte. In vielen Städten stiegen durch diese Desurbanisierung die Kriminalitätsraten oder es kam zu einer offenen Drogenszene.
Wann schwappte die Bevölkerungswelle vom Land zurück in die Stadt?
Seit den 2000er-Jahren stellen wir in der Schweiz eine Reurbanisierung fest, erste Pioniere suchten wieder städtisches Leben. Damals gab es günstige Mieten in den Kernzonen der Städte. Zudem wurden ab den 2010er-Jahren die grossen städtischen Industriebrachen in Wohn- und Dienstleistungsraum transformiert, in Winterthur etwa das Sulzer-Areal, in Zürich das Escher-Wyss-Areal. Heute ist die Phase der Industriearealtransformationen vielerorts vorbei, vor allem aber in Zürich. Die grossen Städte sind mehrheitlich bebaut, es gibt kaum noch leer stehende Flächen. Gleichzeitig bleibt die Nachfrage nach städtischen Wohnungen hoch. Diese Verknappung des Bodens bei ansteigender Wohnungsnachfrage wirkt sich auch auf die Mieten aus. Gleichzeitig sorgt das Spiel von Angebot und Nachfrage für neue Bevölkerungsbewegungen.
Gibt es einen gemeinsamen Nenner hinter all diesen Bewegungen?
In der Geografie sprechen wir von den Daseinsgrundfunktionen, welche wir Menschen befriedigen wollen: Dazu gehören etwa Arbeiten und Wohnen, aber auch Einkaufen, Bildung und Erholung. Diese Funktionen können teilweise unterschiedlich ausgestaltet sein. So kann Erholung bedeuten, in einen Park zu gehen; sie steht aber auch für die Nutzung des kulturellen Angebots. Zur Kultur wiederum gehören auch Vereinsstrukturen und das Zusammenleben innerhalb eines Ortes.