Fast jeder dürfte diese Situation kennen: Die S-Bahn fährt ein im Hauptbahnhof Zürich, alle Pendler drängen zu den Rolltreppen – und dann geht nichts mehr im Menschenstau. Umso erstaunlicher ist es dann, was simple Aufkleber auf den Rolltreppenstufen bewirken können: Links eilen die Füsse rasch nach oben, rechts stehen sie ordentlich hintereinander – und es funktioniert! Aber wie eigentlich? Durch einen simplen «Nudge», oder zu Deutsch: einen Anstoss, einen kleinen Stups. Die Aufkleber holen uns weg vom menschlichen, aber irrationalen Pfad – Drängeln! – und leiten den Bewegungsfluss auf die rationalen Spuren der Eilenden und der gemütlich Stehenden.
Die Theorie des «Nudging» haben der Wirtschaftswissenschafter Richard H. Thaler und der Jurist Cass R. Sunstein geprägt. Die von den beiden US-Amerikanern entwickelte verhaltensökonomische Methode geht von der Annahme aus, dass wir oft emotional handeln statt rational – und so eben nicht zur «besten» Lösung finden. Nudges beeinflussen unsere Entscheidungsfindung aber gerade über die emotionale Ader: Sie durchbrechen unsere Gewohnheiten und schubsen uns in die «richtige» Richtung – zu unserem eigenen Vorteil und zugunsten der Allgemeinheit.
Das Ganze funktioniert ohne Verbote oder Gebote: Wir können die Nudges auch einfach ignorieren – unsere Entscheidungsfreiheit bleibt gewahrt. Diese Möglichkeit, einen Nudge zu umgehen, ist für Thaler und Sunstein zentral; ebenso, dass Nudging immer transparent sein sollte. Also gar keine Bevormundung und Manipulation? Kritiker bezweifeln genau das und mahnen an, dass durch Nudging auch eine Gleichschaltung, eine Bewusstseinsänderung oder gar eine Realitätsverschiebung stattfinden könne.
Ob clever oder klandestin – Nudging begegnet uns im Alltag in vielen Situationen. Nudges gibt es in der Wirtschaft ebenso wie in der (Gesundheits-)Politik, das zeigen die nachfolgenden Beispiele. Und seit der Corona-Pandemie sind sie um eine Variante reicher: So leiten uns die Nudging-Aufkleber nicht nur rasch auf der Rolltreppe nach oben, sondern bremsen uns fast überall auch aus – in Form von Abstandsstreifen, die unseren Impuls, zu dicht aufzuschliessen, durchbrechen sollen.