Steigende Inflationserwartungen
Die deutlich frühere Straffung in den Schwellenländern lässt sich zumindest teilweise durch verschiedene Entwicklungen begründen. Einerseits hatte der pandemiebedingte Nachfrageeinbruch für einen etwas ausgeprägteren Inflationsrückgang in den Industrienationen gesorgt. Der Teuerungsanstieg in den Schwellenländern erfolgte also von einem höheren Niveau und die Abweichung der realisierten Inflationsraten zu den Zielwerten der Zentralbanken fiel zu Beginn grösser aus. Andererseits gerieten die Währungen der Schwellenländer unter Druck, als sich das Preiswachstum rasant zu beschleunigen begann. Die Preise importierter Güter verteuerten sich dadurch und heizten die Inflation zusätzlich an. Gleichzeitig stiegen die Inflationserwartungen.
Ganz grundsätzlich sind die Inflationserwartungen in den Schwellenländern schlechter verankert als in den Industrienationen. Einige Volkswirtschaften verfolgen denn auch erst seit wenigen Jahren ein Inflationsziel zur Steuerung der Geldpolitik. Ihre Erfolgsbilanz bei der Inflationsbekämpfung erstreckt sich daher teilweise nur über einen kurzen Zeitraum. Zusätzlich kämpfen einige Zentralbanken immer noch um ihre Unabhängigkeit. Die Einflussnahme aus der Politik schränkt den Handlungsspielraum der Notenbanker ein. Nicht nur, aber auch deswegen fällt in den aufstrebenden Volkswirtschaften das Risiko von Zweitrundeneffekten höher aus – also Preiserhöhungen als Reaktion auf vorangegangene Kostensteigerungen. Ein Inflationsanstieg wird also von den Marktakteuren schneller als permanent erachtet und droht in eine Lohn-Preis-Spirale zu münden. Daher standen die Schwellenländer bereits früh unter Zugzwang, während die Notenbanken in den Industrienationen noch abwarteten, ob sich bestimmte Inflationstreiber doch nur als temporär erweisen würden.
Aggressiver Straffungszyklus
Schliesslich sollte der jüngste Zinserhöhungszyklus zu den kräftigsten und umfangreichsten seit Beginn der Inflationssteuerung in den Schwellenländern werden. Die Banco Central do Brasil beispielsweise erhöhte innerhalb von 18 Monaten den Leitzins um kumuliert 1'175 Basispunkte. Der neutrale Zinssatz, bei welchem die Geldpolitik weder expansiv noch restriktiv wirkt, wird für das südamerikanische Land jedoch auf rund 7 Prozent geschätzt. Mit einem Leitzins von 13,75 Prozent ist die Geldpolitik entsprechend straff und das schon seit geraumer Zeit. In anderen Schwellenländern präsentiert sich die Situation ähnlich.
Kurze Zinspause in den Schwellenländern
Nach letzten Zinsschritten haben die meisten Zentralbanken nun den Straffungszyklus abgeschlossen und befinden sich in einer Zinspause. Der Inflationshöhepunkt wurde mittlerweile durchschritten und Basiseffekte begünstigen derzeit den Teuerungsrückgang. Allmählich lässt das Preiswachstum auch in der Breite nach. Die Inflation notiert vielerorts aber noch immer über den Zielwerten der jeweiligen Zentralbanken. Doch in der Regel verstreicht in den Schwellenländern zwischen der letzten Zinserhöhung und der ersten Zinssenkung nicht allzu viel Zeit. Zum Beispiel dauerte die Zinspause im Nachgang der globalen Finanzkrise im Durchschnitt lediglich zwölf, im Median sogar nur acht Monate. Um die Geldpolitik zu lockern, muss die Inflation denn auch nicht zwingend im Zielband der Zentralbanken liegen, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Ein stete disinflationäre Entwicklung, bei der sich der Preisniveauanstieg verringert, scheint den Währungshütern zu genügen.
Realzinsen vielerorts wieder positiv
Infolge der kräftigen monetären Straffung und des aktuellen Inflationsrückgangs sind die Realzinsen deutlich gestiegen und notieren vielerorts nun wieder im positiven Bereich (vgl. Grafik). Diese Entwicklung hat zur Währungsattraktivität beigetragen, sodass einige Währungen seit Jahresbeginn zwischen 5 und 20 Prozent gegenüber dem US-Dollar aufgewertet haben. Die stärkere Währung dürfte sich wiederum in tieferen Importpreisen niederschlagen und den Inflationsrückgang unterstützen. Entsprechend bietet sich den Notenbanken in den Schwellenländern nun Spielraum für erste Zinssenkungen.
Reale Leitzinsen verschiedener Schwellenländer