Aktueller Stand: Die Positionen bleiben verhärtet
Obwohl Taiwan bis heute noch nie unter der Herrschaft der Volksrepublik China stand, besteht in der Volksrepublik seit 2005 das Antiabspaltungsgesetz, in dem der Volkskongress die Wiedervereinigung des Vaterlandes mit der Provinz Taiwan anstrebt. Sollten die Möglichkeiten einer friedlichen Lösung ausgeschöpft sein, sieht das Gesetz auch den Einsatz nichtfriedlicher Mittel vor. Militärische Manöver dazu gibt es immer wieder, insbesondere wenn sich China vom Westen in seiner nationalen Souveränität und territorialen Integrität bedroht fühlt – wie zum Beispiel 2022, als die damalige Sprecherin des US-Abgeordnetenhauses, Nancy Pelosi, Taiwan besuchte und in der Folge die chinesischen Streitkräfte gezielte Militäroperationen vor der Küste Taiwans durchführten.
Bietet die USA Unterstützung?
Die US-Regierung ihrerseits spielt mit der erwähnten strategische Ambiguität. So antwortete Präsident Biden bereits wiederholt auf die Frage von Journalisten, ob die US-Streitkräfte Taiwan im Falle einer chinesischen Invasion verteidigen würden, mit einem klaren Ja. Das Weisse Haus betonte aber hinterher jeweils, dass sich die US-Politik nicht geändert habe und die USA offiziell nicht sagten, ob amerikanische Streitkräfte Taiwan im Falle eines chinesischen Überfalls verteidigen würden.
Uneinheitliche Meinungen in der EU
Auch die Haltung der Europäischen Union ist alles andere als einheitlich. So erklärte der französische Präsident Macron im April 2023, Europa dürfe sich von den USA nicht in einen Krieg mit China ziehen lassen. Die Krise um Taiwan sei kein primär europäisches Problem. Demgegenüber betonte EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen bei ihrem Chinabesuch, dass niemand den Status quo einseitig mit Gewalt ändern dürfe, ein solches Vorgehen wäre inakzeptabel.
Es zeigt sich also, dass die verschiedenen Kontrahenten noch an ihren Positionen feilen. Mit diplomatischen – und manchmal auch undiplomatischen – Mitteln wird versucht, herauszufinden, wie entschieden die gegnerischen Parteien ihre Positionen im Falle eines sich anbahnenden Krieges durchzusetzen gedenken.
China zurück zur Weltmacht?
Seit den Opiumkriegen des 19. Jahrhunderts sieht sich China durch den westlichen Imperialismus in die Opferrolle gedrängt. Dieses Narrativ wird von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) zur Begründung genutzt, China müsse zu alter Stärke zurückkehren. Dabei sei China bereit, mit allen zu kooperieren. Die zukünftige internationale Ordnung sei eine multipolare Welt, daher müsse die Hegemonialstellung der USA überwunden werden.
Integration Taiwans als Ziel gesetzt
Xi Jinping hat sein Volk bereits bei seinem Amtsantritt 2012 auf die Verwirklichung des chinesischen Traums eingestimmt. Bis 2049, also hundert Jahre nach der Gründung der Volksrepublik, soll die grosse nationale Renaissance in Erfüllung gegangen und China wieder eine Weltmacht sein. Die Vision vom chinesischen Traum ist freilich so umfassend und vage, dass die Deutungshoheit über den Weg und das Ziel von der KPCh-Führung laufend angepasst werden kann. Derweil ist klar, dass die politische Stabilität, gleichbedeutend mit dem Machterhalt der KPCh, und die territoriale Integrität – also inklusive Taiwan – zum chinesischen Traum gehören. Das Ziel, Taiwan zu integrieren, ist gesetzt. Die grosse Frage ist, ob dies mit friedlichen Mitteln möglich ist.
Wie weiter?
Wie uns die Geschichte lehrt, führen Regierungswechsel immer wieder dazu, dass festgefahrene und bis dahin als unumstösslich geltende Positionen ins Wanken geraten. Darauf dürfte die KPCh vorerst setzen. Im Januar 2024 finden in Taiwan Präsidentschaftswahlen statt. Ob die bisherige Regierungspartei DPP oder die Festlandchina-freundlichere Kuomintang das Rennen machen wird, ist zurzeit noch offen.
Wahlen von grosser Bedeutung
Bekanntlich wird in den USA das Präsidentenamt im November 2024 ebenfalls neu besetzt. Wie in der Folge der Taiwan Relations Act ausgelegt wird, steht noch in den Sternen. Und zu guter Letzt wird nach den Europawahlen 2024 die EU-Kommission möglicherweise anders zusammengesetzt sein. Je nach Ausgang der Wahlen können sich also die Sichtweisen der Kontrahenten zum Konflikt um Taiwan ändern.
Vorhersage ist schwierig
Im Weiteren dürfte die starke wirtschaftliche Interdependenz zwischen China und USA ein wesentlicher Hemmfaktor für eine militärische Eskalation sein. Wobei intensiv diskutiert wird, ob der derzeitige Wettbewerb um die Führungsrolle in der Mikrochips-Herstellung eskalierende oder dämpfende Wirkung auf den Taiwan-Konflikt hat. Die Geschichte lehrt uns indes auch, dass bei grosser Unzufriedenheit der Bevölkerung der steigende innenpolitische Druck gerne nach aussen abgeleitet wird. Dem eingangs erwähnten Finanzinvestor bleibt also als naheliegende Strategie in erster Linie die zeitnahe Beobachtung des Geschehens in und um Taiwan. Denn einen Fahrplan oder gar einen erkennbaren Zeitpunkt, wann es zur Eskalation kommen könnte oder kommen wird, gibt es zurzeit schlicht nicht.