Die zahlreichen Restriktionen während der Pandemie, die Folgen des Ukraine-Kriegs und die expansive Geld- und Fiskalpolitik haben in den Industrieländern zu unerwartet hohen Inflationsraten geführt. Lange Zeit galt der Preisanstieg als temporär. Die rückblickend zu späte Gegenreaktion der Notenbanken folgte dann aber doch noch und die Währungshüter starteten einen entschlossenen Zinserhöhungszyklus.
Mit der Ausnahme von Japan wurden die Leitzinsen in allen Ländern innert weniger Monate sehr stark angehoben. So hat die US-Notenbank Fed ihren Leitzins seit März 2022 von 0,25 auf 5,50 Prozent erhöht, während die Europäische Zentralbank (EZB) den Hauptrefinanzierungssatz von 0 auf 4,25 Prozent angehoben hat. Einen derart starken Zinsanstieg gab es in den Industrieländern zuletzt in der Hochinflationsphase der frühen 1980er Jahre, welche kurze Zeit später in eine globale Rezession mündete.
Seit einiger Zeit haben Rezessionssorgen auf beiden Seiten des Atlantiks deutlich zugenommen, bisher halten sich die Volkswirtschaften jedoch bemerkenswert gut. Insbesondere die US-Wirtschaft zeigt sich sehr widerstandsfähig. Während die US-Inflation innert Jahresfrist von 9 auf 3 Prozent gesunken ist, verharrt die Arbeitslosenrate mit 3,5 Prozent auf dem tiefsten Stand seit 50 Jahren.
Verzögerte Wirkung der Geldpolitik
Ein naheliegender Grund für die immer noch gute Konjunktur- und Arbeitsmarktlage ist die verzögerte Wirkung der Geldpolitik. Es ist bekannt, dass Zinserhöhungen von Notenbanken ihre maximalen Auswirkungen auf Wachstum und Inflation erst nach 18 bis 24 Monaten entfalten. Während die Finanzmärkte Zinsveränderungen oftmals antizipieren, verändern sich Kreditkonditionen, Investitions- und Kaufentscheidungen, Löhne und Konsumentenpreise nur graduell. Demzufolge haben sich die bisherigen Leitzinserhöhungen erst teilweise im Wirtschaftsgeschehen niedergeschlagen.
Kein gewöhnlicher Konjunkturzyklus
Die beiden Schocks aus Pandemie und Ukraine-Krieg hallen noch immer nach. So besteht insbesondere im Reise- und Freizeitbereich noch ein erhebliches Aufholpotenzial. Dies trägt dazu bei, dass der Dienstleistungssektor gegenüber Zinserhöhungen widerstandsfähiger ist als üblich. Mit Ausnahme der USA verfügen die Haushalte in den meisten Industrieländern zudem immer noch über erhebliche Überschussersparnisse aus den Lockdowns.
Dazu kommt, dass die Fiskalpolitik in den USA und der Eurozone zuletzt immer noch sehr expansiv war. Die US-Regierung weist ein Haushaltsdefizit von über 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf, was ausserhalb von Kriegen und grösseren Krisen noch nie der Fall war. Gleichzeitig schüttet die Regierung unter Joe Biden im Rahmen ihrer neuen Industriepolitik mit dem Füllhorn Subventionen für US-Firmen aus. In Europa zeigten sich die Regierungen in den vergangenen Monaten ebenfalls sehr grosszügig, um Firmen und Haushalte vor den hohen Energiepreisen zu schützen. Für Subventionen und Transferzahlungen gaben die grossen Länder der Eurozone über 5 Prozent des BIP aus.